Alexander Rahr
Krieg im Kaukasus interessiert Europa nicht
[von Alexander Rahr] Während die Europäische Union sich mit Brexit und der belorussischen Oppositionsführerin Tichanowskaja beschäftigt, ist um die Enklave Berg Karabach der heiße Krieg entbrannt. Hunderte von Soldaten und Zivilisten sterben. Der Krieg wird mit modernsten Waffen geführt, wie zum Beispiel Drohnen. Türkische und syrische Freischärler kämpfen an der Seite Azerbaijans, russisches Militär unterstützt Armenien.
Wer hat den Krieg um den 30 Jahre alten Konflikt angefangen? Armenien hat begonnen, syrische christliche Flüchtlinge in der Region Berg Karabach anzusiedeln. Azerbaijan hat daraufhin eine Offensive zur Rückeroberung der seit 30 Jahren von den Armeniern besetzten Territorien gestartet. Baku argumentiert so: Armenien erfüllt die zahlreichen UN-Resolutionen nicht, wonach Berg Karabach Azerbaijan schrittweise zurückgegeben werden muss. Baku hat es satt zu warten und will jetzt Fakten schaffen, bevor die Weltöffentlichkeit das Problem Berg Karabach für immer vergisst.
In der Sowjetzeit bestand die Bevölkerung der armenischen Enklave in Azerbaijan auch aus einem azerbaijanischen Bevölkerungsteil. 1 Million Azerbaijaner wurden von dort vertrieben. Berg Karabach ist jedoch traditionell christlich gewesen, nicht islamisch geprägt.
Auf wessen Seite steht das internationale Völkerrecht? Wenn man vom Prinzip der Unverletzbarkeit der Staatsgrenzen ausgeht, ist Azerbaijan im Recht. Ihm ist Berg Karabach mit Gewalt entrissen worden. Wenn man nach dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechtes der auf dem entsprechenden Territorium lebenden Nation ausgeht, ist Armenien im Recht. Denn Azerbaijan ist vor 30 Jahren gewaltsam gegen die armenische Minderheit vorgegangen. Armenier sprachen von einem Genozid gegen ihre christlichen Landsleute, was der eigentliche Auslöser für den Krieg um Berg Karabach gewesen war.
Im Kosovo-Streit und auf der Krim haben damals der Westen und danach Russland das völkerrechtliche Prinzip der Selbstbestimmung übernommen. Das geschah auch im Russisch-Georgischen Krieg in Süd-Ossetien 2008. Damals versuchte Georgien – wie heute Azerbaijan – die separatistischen Gebiete Süd-Ossetien und Abchasien militärisch zurückzuerobern. Die Weltöffentlichkeit stellte sich nicht auf die Seite Georgiens, weil Georgien Gewalt gegen Zivilisten und russische Friedenstruppen angewendet hatte. Auch im heutigen Fall lehnt der Westen eine gewaltsame Wiedereingliederung von Berg Karabach nach Azerbaijan ab, deshalb kann Baku nicht auf westliche Unterstützung zählen. Nur die Türkei steht an der Seite von Baku.
Gefährlich ist der entbrannte Kaukasus-Krieg – und deshalb sollte sich die EU ernsthaft um eine Friedenslösung bemühen – wegen einer möglichen Einmischung der Schutzmächte Armeniens und Azerbaijans in den Krieg. Russland könnte auf der Seite seiner militärischen Verbündeten Armenien intervenieren, die Türkei auf der Seite ihres Schützlings, Azerbaijan. Die Türkei ist ein NATO Mitgliedsland, in einem Krieg Russlands gegen die Türkei müsste die NATO, vor allem die USA, Ankara beistehen. Ein Krieg der beiden Atommächte USA und Russland würde den Dritten Weltkrieg auslösen. Die EU will in dem Kaukasus-Konflikt weder ein Erstarken Russlands, noch der Türkei. Im Westen wird lange vermutet, dass es der Türkei genauso um die Wiederbelebung der Idee des ehemalige Osmanischen Reiches im Kaukasus geht, wie Russland um die Wiedergewinnung seiner verlorenen Einflusssphäre.
Russland verhält sich bislang im Kaukasus-Konflikt zurückhaltend. Moskau unterhält nämlich auch hervorragende Beziehungen zu Azerbaijan. Russland will nicht, dass Azerbaijan im Falle einer Kriegseintritts Moskaus an der Seite Armeniens, sich ganz der NATO zuwendet und folglich, neben Georgien, zu einem amerikanischen Verbündeten im Süd-Kaukasus wird.
Wladimir Putin misstraut aber auch Armenien, dessen Führung vor geraumer Zeit Anstalten unternahm, sich aus dem Bündnis mit Russland zu lösen, um sich dem Westen anzunähern. Warum sollte Russland für die armenische Sache Partei ergreifen, wenn nach dem Krieg dieses Land sich dem Westen zuwenden sollte? Armenien erfährt nämlich, durch seine mächtige Diaspora in den USA und Frankreich, eine kolossale politische Unterstützung. Der türkische Genozid an den Armeniern vor 100 Jahren ist von allen westlichen Parlamenten verurteilt worden. Das verleiht Armenien eine wichtige Unterstützung in der Auseinandersetzung mit der heutigen Türkei. Folglich hat der Westen bisher davon abgesehen, Druck auf Armenien auszuüben, damit es Berg Karabach an Azerbaijan zurückgibt.
Wie kann der Kaukasus-Krieg gestoppt werden? Im Westen vernimmt man Stimmen die sagen, Armenien und Azerbaijan sollten ausfechten, wer der Stärkere ist. Der Westen habe in diesem Konflikt keine Interessen und nichts zu gewinnen. Doch mit dem Fortgang der kriegerischen Auseinandersetzungen steigt die Gefahr, dass andere Großmächte ins Kriegsgeschehen – sogar entgegen ihres Willens – hineingezogen werden.
Es gibt für Berg Karabach nur eine vernünftige Lösung. Andere Vorschläge, wie Gebietstausch und finanzielle Kompensationen an denjenigen, der Berg Karabach für immer verliert, sind wenig zielführend. Auch UN Friedenstruppen machen keinen Sinn, weil die Aussengrenzen von Berg Karabach nur gesichert werden können, wenn die umliegenden Gebiete nicht militarisiert sind. Aus diesem Grund hatten die Armenier vor 30 Jahren, neben Berg Karabach, auch die nicht von Armeniern bewohnten azerbaijanischen Grenzgebiete besetzt und bis heute an Baku nicht zurückgegeben.
Was wäre die beste Konfliktlösung und wie realistisch ist sie? Armenien, Azerbaijan und Berg Karabach könnten eine Konföderation bilden. Die jetzige Feindschaft sollte dafür kein Hindernis sein. Berg Karabach könnte als Teilstaat oder Autonomie, die von Baku und Yerevan gemeinschaftlich verwaltet wird, existieren. Das Gebiert würde dann weiterhin aus einer armenischen Bevölkerung bestehen, aber die vertriebenen Azerbaijaner könnten zurückkehren. Doch für diese Lösung fehlt Politikern jegliche Phantasie.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew die Bildung eines Russland-EU Rates zur Lösung von territorial-ethnischen Konflikten im postsowjetischen Raum vorgeschlagen. Ein solcher Mechanismus wäre jetzt erfolgreich zum Einsatz gekommen. Aus ihm wurde leider nichts, denn der Rest der EU stellte sich gegen die deutsch-russische Initiative.
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